Das Wohnzimmer der Stadt

Das Les Amis wird 20. Von der illegalen Bar zur Institution: Die Geschichte des Lokals ist auch die einer Freundschaft.

Text: Christian Zellweger, Bilder: Franziska Rothenbühler

Eine Umarmung, ein Spruch, Kaffee und Schinkengipfeli: Da sitzen sie also an einem Tisch in der Rathausgasse, die drei Freunde, die seit 20 Jahren das Les Amis besitzen und führen: Magnus Bearth, Leonhard Sitter und Michael Kropf. Von den Leuten, die unter den Lauben die Rathausgasse auf und ab gehen, kennen sie viele. Auch Stapi Alexander Tschäppät grüsst im Vorbeigehen. Sie sehen sich nicht mehr so oft wie früher, haben sich viel zu erzählen. Zusammengekommen sind sie aber vor allem, um ihre Geschichte zu rekapitulieren: 20 Jahre Les Amis – und eine noch ältere Freundschaft.

Die drei Freunde: Leonhard Sitter, Magnus Bearth und Michael Kropf (von links)


Bern ist in anfangs der 90er-Jahren keine Partystadt. Die Bedürfnisklausel sorgt dafür, dass die Dichte an Gastlokalen von der Grösse der Bevölkerung abhängig ist. Es sind die Behörden, die entscheiden, ob an einem bestimmten Ort ein «Bedürfnis nach Alkoholausschank» gegeben ist. Gefeiert wird dennoch. Einzelne bewilligte Anlässe, aber auch «Strafbars» befriedigen die Bedürfnisse nach Zusammensein, Ekstase und Abenteuer. Eine Rolle spielt dabei auch ein weisser Toyota-Bus mit Bar und Soundsystem. «Skar-Bar» heisst der Beitrag derjenigen Leute zur Partyszene, die später das Les Amis eröffnen werden. Noch sind sie aber heimatlos. So kurven die Freunde hin und wieder mit ihrem Bus durch die Stadt. Mit Flyern wird kurzfristig auf die Partys aufmerksam gemacht, gefeiert wird irgendwo, unter der Monbijou-Brücke etwa oder im Wald am Stadtrand.

Gabriel, Mitarbeiter: «Seit sechs Jahren arbeite im im Les Amis, als Auslieferer für die Weinhandlung und hinter der Bar. Gast bin ich aber schon seit sicher 13 Jahren. Für mich ist das Les Amis mehr als eine Bar – es ist eine Idee: Das Les Amis ist ein neutraler Ort, abseits jeglicher Szene, jeder ist willkommen, egal, welche Musik er hört, wie er angezogen ist, oder was er arbeitet. Es ist ein grosses Vergnügen, für das Les Amis arbeiten zu dürfen – ich arbeite hier nicht für ein Geschäft, sondern für Freunde.

Während in der Nacht etwa unter der Monbijou-Brücke Partys veranstaltet werden, haben es die Freunde auch mal mit ganz anderen Leuten zu tun: Sitter, Absolvent der Wirteschule, hat da schon die Eröffnung eines eigenen Lokals im Hinterkopf, vorerst aber betreibt er den Partyservice und die Festorganisation «Fopa or Fopa». «Entweder man engagiert Fopa, oder das Fest wird ein Faux-pas, war unser Motto», sagt Sitter. «Der Name war ziemlich blöd, aber auch sehr eingängig.» Bei Fopa mit dabei: Sitters Schulfreund Michael Kropf und bald auch Magnus Bearth. «Magnus arbeitete damals im Drei Eidgenossen und sprang auf Empfehlung eines anderen Freundes für einen Partyservice-Auftrag ein. Da kam er zu mir und sagte: Das ist ein super Typ, der muss bei uns mitmachen», erinnert sich Kropf. Mitbegründer von Fopa or Fopa war auch der Berner Musiker Mario Capitanio, heute Polo Hofers Hausgitarrist und Witzeerfinder.

Und mit diesem Cateringservice bewirteten sie auch Leute, die an ihren Partys aus dem Bus wohl keine Freude gehabt hätten. «Zu unseren Kunden gehörte auch der damalige Polizeidirektor Marco Albisetti», erinnert sich Sitter.

Während der Partyservice wuchs, engagierten sich Sitter, Kropf und Bearth im 1993 neu eröffneten Wasserwerk in der Matte – der Ort, an dem die flüchtige Berner Kultur- und Partyszene so etwas wie sesshaft zu werden hoffte. Sitter leitete die Bar und arbeitete in der Buchhaltung.


Bruno, Barchef im Hintergrund: Faszinierend am Les Amis finde ich, wie es sich immer gewandelt hat: Vom Restaurant im Keller zum Technoclub, später auch als Lokal für Konzerte. Mir als Musiker gefällt das, werden doch die Auftrittsorte immer spärlicher. In meiner Zeit an der Front erlebte ich viele schöne Momente, aber natürlich auch Auseinandersetzungen. Doch war immer jeder willkommen, egal ob Büezer oder Banker, solange er Respekt vor den anderen Gästen zeigte. Magnus. Leonhard und Michael haben eine echte Leidenschaft für die Gastronomie. Das ist schön zu sehen – und ohne diese Leidenschaft hätten sie es auch nicht 20 Jahre durchgehalten.

Irgendwann im Sommer 1994: Sitter, Kropf und Bearth sitzen auf der Treppe vor dem Wasserwerk. Hinter sich haben sie eben eine Sitzung zur Verabschiedung Sitters aus der Betreiber-Genossenschaft des Wasserwerks. Die sieben Betreiber haben sich verkracht, vier stiegen aus, darunter eben auch Lene Sitter. An diesen Moment erinnere er sich, als sei es gestern gewesen, sagt Bearth. «Wir entschieden uns: Ab jetzt machen wir nur noch Sachen mit Leuten, die uns wirklich am Herzen liegen.» Dann ging es schnell: Etwa zehn Lokale besichtigen sie, bis sie den richtigen Ort für ihr Projekt gefunden haben: Ein «café-conce» soll es werden, eine Bar mit Konzerten und gutem Essen. Fündig werden sie an der Rathausgasse 63 – «wir wollten unbedingt in die Altstadt, wegen des Spirits, in diesem Dorf mitten in der Stadt waren wir zu Hause», sagt Sitter – im ehemaligen Lokal des griechischen Restaurants O’ Pippis Gyros.

Nur ein Jahr nach der Szene auf der Treppe öffnet das Les Amis die Türen. Sitter muss sich nicht lange auf das Datum besinnen: «Es war der 30. Juni 1995.» Damit waren sie Pioniere einer neuen Gastro-Zeitrechnung in Bern: Die Bedürfnisklausel war noch nicht lange gefallen, fortan sollte der Markt entscheiden, wie gross das Bedürfnis nach Orten mit Alkoholausschank ist. «Zwei Lokale in einem» titelt der «Bund» zur Eröffnung: Oben die Bar, unten das Restaurant, «unkomplizierte, aber anspruchsvolle Gäste» will man als Publikum, wie sich Sitter zitieren lässt – und eine Atmosphäre, bei der «das Essen ab und zu in eine Party überläuft». 


Ganz einfach war der Anfang nicht. Die Nachbarn in der Rathausgasse standen noch unter dem Eindruck eines Technoclubs in der Nachbarschaft, welcher kurz zuvor geschlossen hatte. Für die Anwohner war dieser Club vor allem eine Lärmquelle und jetzt, da Ruhe war, kamen wieder neue Leute daher, die einen Ort zum Feiern bieten wollten. Die neue Beiz stiess zu Beginn auf riesige Resonanz, die Leute stauten sich vor der Tür, wieder war es lärmig, es kam zur Aussprache mit der Gewerbepolizei. Doch schon einige Monate später hatte sich der Betrieb «eingependelt», wie wiederum im Bund zu lesen war. Nachdem es zu Beginn «etwas bewusstlos und stressig» war, wie Sitter sagt, kristallisierte sich bald ein Stammpublikum heraus, welches «die freundschaftliche Ausstrahlung und die persönliche Atmosphäre schätzte – und die sehr gut gepriesene Küche».

Viele Orte zum Feiern gab es aber auch 1995 noch nicht in der Stadt Bern. Wenn das Les Amis um halb eins schloss, war die Stadt fast tot. «Es gab die Glockenbar im Hotel Glocke und einige illegale Bars, etwa das U-Boot in der Lorraine», erinnert sich Sitter. Oft luden sie Mitarbeiter und die letzten Gäste auch einfach auf die Ladebrücke eines Citroën Mehari – und fuhren dröhnend durch die Stadt, etwa zum Glasbrunnen, um dort den Feierabend zu geniessen und zu feiern. Die Technopartys im Bremgartenwald sind nicht nur ein Phänomen der jüngsten Zeit.

Das Les Amis im Jahr 1995 (Bild: Archiv/Alessandro della Valle).

Bald war klar: Ein eigener Club musste her. Fündig wurden die drei wieder in der Altstadt, an der Junkerengasse 1. Dort übernahmen sie das Lokal der Ursus-Bar, den ältesten Schwulen-Club der Schweiz. Im Februar 1997 eröffnet die Tanzbar U1, Kropf übernimmt die Geschäftsführung, an der donnerstäglichen «Spacenight» mit DJ Franctone trifft sich bald die halbe Stadt. 

Doch auch mit dem Restaurantbetrieb war man im Les Amis nicht ganz zufrieden. Im Sommer kamen wenige Gäste in den Keller, andere fühlten sich durch den Barbetrieb im oberen Stock abgeschreckt. Und so packte Sitter die Chance, als das Restaurant Äussere Enge auf August 1998 zur Pacht stand – und brachte es da bald auf 14 «Gault Millau»-Punkte.

Ab 1995 war das Projekt Les Amis innerhalb weniger Jahre vom Partyservice zum Gastrounternehmen mit Bar, Club und Restaurant gewachsen. Michael Kropf in der Tanzbar, Magnus Bearth im Les Amis, Leonhard Sitter in der Äusseren Enge: Die drei Freunde merkten: «Begonnen hatten wir, weil wir etwas Gemeinsames machen wollten. Jetzt haben wir drei Betriebe und sehen uns kaum mehr», sagt Sitter. 1999 war Schluss im U1, Kropf verliess das Gastrobusiness und heuerte bei der Expo.02 an.

Das Les Amis vermietete das Lokal dem Club Sirup. 2005 zog Sitter aus der Äusseren Enge aus, der Pachtvertrag war ausgelaufen, Veränderungen sorgten dafür, dass sein privates Leben mehr Aufmerksamkeit beanspruchte. Neben dem Restaurant wurde auch im Les Amis immer noch gekocht – zumindest bis 2004. Nachdem es die Mieter des Sirup-Clubs in der Junkerengasse nicht geschafft hatten, sich zu etablieren, wurde umgebaut: Die Küche aus dem Les Amis wurde in der Junkerengasse eingebaut, die Bar aus der Junkerengasse kam in den Les-Amis-Keller: die Geburtsstunde des Restaurants LaWy in der ehemaligen Tanzbar U1. Und auch die Geburtsstunde des «Wohnzimmers», des kleinen Clubs im Les-Amis-Keller.

Die letzten Jahre: Konsolidierung und neue Projekte

Der Sommer 2005 bestand vor allem aus Regen. Für das Les Amis – besonders ungünstig, betrieb man doch das Beizli bei der Wohlei-Brücke in Wohlen – ein finanzielles Desaster. Ein Grund, sich zu hinterfragen: Bald konzentrierte sich das Projekt Les Amis wieder auf die Rathausgasse. Der Mietvertrag in der Äusseren Enge lief ab, Sitter, der inzwischen ein Jusstudium abgeschlossen hatte, wechselte zur Post, Kropf wurde Organisations- und Sicherheitsverantwortlicher im Wankdorfstadion.

Mario Batkovic, Akkordeonist, Freund des Hauses: «Das Les Amis war für mich,  als ich nach meinem Studium in Deutschland zurück nach Bern kam, wie ein Bahnhof. Ich kannte hier kaum jemanden, spielte mit meinem Akkordeon in der Bar, unter der Decke beim DJ-Pult. Als Ersten lernte ich dann Bruno Dietrich besser kennen, wir sind ja beide Musiker. Später entstanden hier viele Projekte, die Gruppe «Drü» mit Resli Buri und Beat Man etwa oder das Freunden, die in Bern zu Besuch sind, zeige ich immer zuerst das Les Amis. Hier kommt für mich Bern zusammen: Künstler, Musiker, Gastarbeiter – es ist ein Ort für alle. Das Les Amis ist für mich das Wohnzimmer einer grossen WG. Jeder lebt an einem anderen Ort in der Stadt, doch wenn man sich treffen will, kommt man hierher.

Auch das LaWy schloss, der Keller an der Junkerengasse wurde an das Sous-Soul vermietet. «Ab 2006 wurde es deutlich ruhiger», sagt Sitter. Bearth führte das Les Amis, die anderen beiden wirkten im Hintergrund. Sie blieben sich jedoch verbunden: 2001 gründete das Les Amis eine eigene Weinhandlung. «Wir brauchten in unseren Lokalen sowieso immer viel Wein und kannten die kleinen, guten Produzenten», sagt Sitter. Dieses Geschäft hielt die Freunde weiter zusammen, auch auf Weinreisen und bei regelmässigen Degustationen.

Mit etwas mehr Ruhe entstand Raum für Neues – noch mal wollten sie etwas gemeinsam anreissen. Drei Tage in einem Bauernhaus mit Holzheizung, minus 14 Grad Aussentemperatur, die Wände hatten sie mit Packpapier beklebt, sollten noch mal eine Idee für ein gemeinsames Projekt hervorbringen.

Lange im Rennen war eine eigene Fischzucht oder ein gemeinsames Haus irgendwo im Süden – am Ende entschlossen sich die drei, ein eigenes Getränk zu lancieren: Vivo Sol, nach dem Vorbild des spanischen Tinto de verano: eine Kombination aus Rotwein und Citro, als Erfrischungsgetränk eiskalt serviert. Handgemischt war dieses Getränk schon auf der Eröffnungskarte im Les Amis zu finden. Der grosse Durchbruch auf dem Markt gelang zwar nicht – «man müsste sehr viel Geld ins Marketing investieren» –, doch wichtiger ist sowieso der Zusammenhalt, den das Projekt schaffte.

Denn das Les Amis 2015, das ist im Vordergrund vor allem bei Magnus Bearth. «Magnus als Geschäftsführer ist prägend», sagen Michael Kropf und Leonhard Sitter. Er ist auch der Einzige, der ganz von den Les-Amis-Projekten, inklusive der Weinhandlung und des Vivo Sol, lebt. Grosse Ideen und was ihr Lokal sein soll, das bestimmen die drei aber immer noch gemeinsam. 

Die Geburtstagsparty

Das 20-jährige Bestehen feiert das Les Amis ab Montag, 22. Juni, mit dem Gitarristen Juan Carlos Zeta. Weiter geht es am Freitag, 26. Juni, um 22.30 Uhr mit Lucky and his Fried Chickens sowie am Samstag, 27. Juni, um 19.30 Uhr mit Bubi Einfach. Am Samstag zieht es die Fans des Les Amis noch weiter ins Schlachthaus-Theater wo The Noses (21 Uhr) und Destilacija (23 Uhr) spielen.

Und was ist das es Amis heute? Ein bisschen technomüde seien sie geworden, findet Bearth, auch wenn im Keller immer mal wieder elektronische Clubnächte stattfinden. Mehr Platz gibt es heute für kleine Konzerte in der Bar mit Country, Blues oder Rockabilly-Musik, der Keller wird auch vermietet, Montag abends beispielsweise an eine Tanzschule. «Magnus hat in das stark technogeprägte Les Amis eine neue Vielfalt hereingebracht», findet Kropf. Schon längst ist das Les Amis eine Institution in der Stadt. Das Verhältnis zu den Nachbarn hat sich schnell entspannt. Und seit zehn Jahren ist Bearth Mitglied im Leist der Rathausgasse, man pflege einen sehr guten Kontakt, findet er.

«Der Name Les Amis passt auch heute noch hervorragend», findet Sitter. Wenn auch jeder der drei im Leben einen eigenen Weg gegangen ist, sind sie immer noch eng verbunden, Göttis ihrer Kinder und überhaupt gute Freunde. Müde seien sie noch nicht, wie alle drei sagen. «Wer weiss, vielleicht schliessen wir uns demnächst wieder mal ein paar Tage in ein Haus ein, um ein neues Projekt zu starten.»

Das Wohnzimmer der Stadt
  1. Section 1
  2. Vor dem Les Amis: Bars und Catering
  3. Die Anfänge: Die Neuen in der Rathausgasse
  4. Grosse Pläne
  5. Der Bruch
  6. Die letzten Jahre: Konsolidierung und neue Projekte